Gesetzliche Unfallversicherung: Vom versicherten Arbeitsweg zum unversicherten Abweg

Gesetzliche Unfallversicherung: Vom versicherten Arbeitsweg zum unversicherten Abweg

| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |

Begleitung auf dem Schulweg

Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zur ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.

Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.

Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg

Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u.a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.

Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg

Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.

Keine Ausnahme gegeben

Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.

Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert. Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022

Homeoffice: Unfallversichert bei Heizkesselexplosion

| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |

Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt

Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.

Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an

Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.

Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko. Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024

Praktikumstag: Arbeitsplatzbewerberin bei Betriebsbesichtigung gesetzlich unfallversichert

Eine Arbeitsplatzbewerberin steht bei der Besichtigung des Unternehmens im Rahmen eines eintägigen unentgeltlichen „Kennenlern-Praktikums“ unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden.

Die arbeitsuchende Klägerin absolvierte bei einem Unternehmen ein unentgeltliches eintägiges „Kennenlern-Praktikum“ auf der Grundlage einer „Kennenlern-/Praktikums-Vereinbarung“ mit diesem Unternehmen. Während des „Kennenlern-Praktikums“ fanden unter anderem Gespräche, eine Betriebsführung, ein fachlicher Austausch mit der IT-Abteilung und zum Abschluss die Besichtigung eines Hochregallagers statt. Bei der Besichtigung des Hochregallagers stürzte die Klägerin und brach sich den rechten Oberarm.

Anders als die beklagte Berufsgenossenschaft und die Vorinstanzen hat das BSG festgestellt, dass die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalls Teilnehmerin einer Unternehmensbesichtigung. Teilnehmer einer Unternehmensbesichtigung sind nach der Satzung der beklagten Berufsgenossenschaft – im Unterschied zu Satzungen anderer Unfallversicherungsträger – unfallversichert.

Das eigene – unversicherte – Interesse der Klägerin am Kennenlernen des potenziellen zukünftigen Arbeitgebers steht dem Unfallversicherungsschutz kraft Satzung hier nicht entgegen. Die Satzungsregelung der Beklagten ist nicht auf Personen beschränkt, deren Aufenthalt im Unternehmen ausschließlich der Besichtigung dient. Unternehmer sollen vielmehr umfassend von Haftungsrisiken befreit werden, die durch erhöhte Gefahren bei Unternehmensbesuchen entstehen können.

Quelle | BSG, Urteil vom 31.3.2022

Unfallschutz: Auf dem Weg zum Hörgeräteakustiker gestürzt: kein Arbeitsunfall

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat entschieden: Eine Frau, die auf dem Weg zum Geschäft ihres Hörgeräteakustikers stürzt, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Das war geschehen

Die als Fahrdienstleiterin für die Deutsche Bahn tätige Klägerin litt unter Einschränkungen ihres Hörvermögens. Daher hatte sie mit ihrer Arbeitgeberin schriftlich vereinbart, bei ihrer Arbeit stets Hörgeräte tragen und hierfür vorsorglich auch immer Ersatzbatterien mitführen zu müssen. Am 12.8.2019 verrichtete die Frau ihre Spätschicht, als ihre Hörgeräte unerwartet ausfielen und sie die Batterien wechseln musste. Daher machte sie sich am Vormittag des folgenden Tages auf den Weg zum Geschäft ihres Hörgeräteakustikers, um von dort neue Ersatzbatterien zu besorgen. Im unmittelbaren Anschluss wollte sie erneut ihre Spätschicht im Stellwerk antreten. Am Bordstein vor dem Geschäft geriet sie ins Straucheln, stürzte und zog sich einen Bruch am Kopf des Oberarmknochens zu.

So entschieden die Instanzen

Das Sozialgericht (SG) hatte entschieden, dass der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auch auf dem Weg bestehe, den die Frau zurücklege, um Ersatzbatterien für ihre Hörgeräte zu besorgen.

Gegen dieses Urteil hat die für die Versicherung der Frau zuständige Unfallkasse Berufung eingelegt. Das LSG gab der Unfallkasse nun Recht.

Persönliche Gegenstände sind keine Arbeitsgeräte

Das LSG: Persönliche Gegenstände, wie Hörgeräte oder Brillen, gehören nicht zu den Arbeitsgeräten, deren (Ersatz-)Beschaffung versichert sind. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sie nicht nahezu ausschließlich beruflich genutzt würden. Hier hätten die beigezogenen ärztlichen Unterlagen sowie die eigenen Angaben der Frau ergeben, dass sie zum Unfallzeitpunkt auch privat auf die Benutzung der Hörgeräte angewiesen gewesen sei.

Kein Unfallversicherungsschutz gegeben

Unfallversicherungsschutz lasse sich auch nicht aus der mit der Arbeitgeberin getroffenen Nebenabrede herleiten, wonach die Frau bei ihrer Arbeit stets Hörgeräte tragen und Ersatzbatterien mitführen müsse. Indem er Nebenpflichten begründe, könne der Arbeitgeber den Unfallversicherungsschutz nicht beliebig in den eigentlich privaten Bereich ausdehnen. Es obliege jedem Arbeitnehmer, funktionsfähig zum Dienst zu erscheinen und persönliche Einschränkungen von sich aus so weit wie möglich zu kompensieren, z. B. eine im privaten Bereich verordnete Sehhilfe oder eben auch ein Hörgerät zu tragen. Werde diese Verpflichtung arbeitsvertraglich noch einmal ausdrücklich festgehalten, führe dies nicht dazu, dass Unfälle, die im Zusammenhang mit der Beachtung dieser Pflicht eintreten, unter den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz fielen.

Betriebliche Veranlassung: sachlicher, örtlicher und zeitlicher Zusammenhang

Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung sei nur auf betrieblich veranlasste Vorbereitungshandlungen auszuweiten, wenn diese in einem besonders engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit selbst stünden. Dieser besonders enge Zusammenhang sei hier nicht gegeben.

Um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten, sei die Frau nicht darauf angewiesen gewesen, plötzlich und ohne weiteren Verzug Batterien für ihre Hörgeräte zu besorgen. Vielmehr handelte es sich bei dem Kauf der Batterien um die turnusmäßig wiederkehrende Instandhaltung eines Hilfsmittels. Hierfür konnte sie zeitlich flexibel in ihrer Freizeit tätig werden und hätte auch vorausschauend einen Vorrat anlegen können.

Höchstrichterliche Rechtsprechung könnte Klarheit schaffen

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das LSG die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zugelassen.

Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.2.2022

Jobrad: Weg zur Wartung kann unfallversichert sein

Ein Arbeitnehmer ist unfallversichert, wenn er ein Fahrrad, das sein Arbeitgeber für ihn geleast hat, außerhalb seiner eigentlichen Arbeitszeit, aber in Erfüllung einer vertraglichen Pflicht und mit bestimmten Vorgaben des Arbeitgebers zu einer alljährlichen Inspektion in eine Vertragswerkstatt bringt. Das entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg und gab der verunfallten Arbeitnehmerin recht.

Die Arbeitnehmerin ließ das ihr zur Verfügung gestellte E-Bike warten. Zur Abholung ging sie nach der Arbeit zu Fuß von ihrer Arbeitsstätte zur Werkstatt. Dort übernahm sie das Rad und fuhr damit in Richtung ihrer Wohnung los. Noch in derselben Straße, an der auch die Werkstatt liegt, öffnete der Fahrer eines am Straßenrand parkenden Pkw die Autotür, ohne auf den Verkehr zu achten, woraufhin die Klägerin gegen die Tür stieß und stürzte. Sie wurde mit dem Rettungswagen in die Klinik gebracht und dort drei Tage stationär behandelt. Der weitere Heilungsverlauf gestaltete sich schwierig.

Die Klägerin absolvierte eine mehrfach verlängerte stationäre Rehabilitation. Ihre unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit dauerte rund acht Monate. Nach dem letzten aktenkundigen medizinischen Befundbericht war die Klägerin weiterhin nur mit Unterarmgehstützen mobil, die Streckung und Beugung des linken Knies waren erheblich verringert; auch die Beweglichkeit des linken (oberen) Sprunggelenks war eingeschränkt.

Die Versicherung lehnte es ab, einen Arbeitsunfall anzuerkennen. Hierauf klagte die Arbeitnehmerin und erhielt vom LSG Recht. Das Gericht stellte fest: Überbürdet der Arbeitgeber im Rahmen eines Jobrad-Modells eine spezifische Pflicht zur alljährlichen Wartung des von ihm geleasten Rades seinen Beschäftigten durch vorformulierte Vertragsklauseln und macht er diesen konkrete Vorgaben hierfür, ist die Wartung eine versicherte dienstliche Tätigkeit. Verunglückt der Beschäftigte auf dem Weg von einer solchen Jahreswartung seines Fahrrads nach Hause, liegt ein versicherter Wegeunfall vor.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Rechtsfrage, um die es hier ging, habe grundsätzliche Bedeutung.

Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2021

Arbeitslosengeld: Nordic Walking: gesund aber auch gefährlich

Ein Mann, der Beklagte, und eine Frau betrieben gemeinsam Sport (Nordic Walking). Dabei geriet einer der Walkingstöcke des Beklagten zwischen die Beine der Frau. Sie stürzte und verletzte sich. Zwei Jahre lang konnte sie nicht arbeiten und wurde daraufhin entlassen. Die Bundesagentur für Arbeit verlangte als Klägerin das der Frau gezahlte Arbeitslosengeld vom Beklagten zurück. Dieser habe den Unfall fahrlässig verursacht und sollte daher dessen Folgen tragen.

Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein gab der Behörde im Grundsatz Recht. Beim Nordic Walking sollten Sportler die Stöcke nach hinten halten. Geschieht dies nicht, können sie für den Unfall eines Mitsportlers haften. Der Beklagte sei daher grundsätzlich schadenersatzpflichtig.

Aber das OLG machte hier eine Ausnahme: Denn die Frau hatte ihre Kündigung widerspruchslos hingenommen. Daher trage sie ein überwiegendes Mitverschulden, zumal ihr Arbeitgeber ihr einen „leidensgerechten“ Arbeitsplatz hätte zuweisen und sie dort hätte weiter beschäftigen können. Der Beklagte musste daher entgegen dem o. g. Grundsatz das Arbeitslosengeld nicht erstatten.

Beachten Sie | Beim Nordic Walking müssen Sportler die Stöcke nah am Körper und hinter den Beinen halten. Der Unfall wäre nicht passiert, hätte sich der Beklagte daran gehalten. Interessante Unterhaltungen oder das Genießen einer schönen Landschaft entschuldigen einen Verstoß gegen diese Regel nicht. Gegebenenfalls müssen die Sportler den Abstand zwischen sich vergrößern, so das OLG.

Quelle | OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 30.7.2020, 6 U 46/18

Unfallkasse: Angriff auf dem Weg zum Blutzuckermessgerät – Pflegeperson ist nicht unfallversichert

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich aktuell mit der Frage befasst, ob eine (nicht erwerbsmäßig tätige) Pflegeperson unfallversichert ist, wenn sie beim Holen eines Blutzuckermessgeräts für den Pflegebedürftigen Opfer eines Angriffs wird. Im konkreten Fall hat das LSG dies verneint.

Überfall im Hausflur

Der seinerzeit 28-jährige Kläger lebte zusammen mit seinem Lebensgefährten in einer gemeinsamen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Der Lebensgefährte war pflegebedürftig (Pflegegrad 3), unter anderem aufgrund eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Der Kläger pflegte ihn.

Am 28.5.2018 verließ der Kläger gegen 1:15 Uhr die Wohnung. Im Hausflur wurde er nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung von zwei Jugendlichen angegriffen. Hierbei erlitt er eine Fraktur des Jochbeins und des Oberkiefers sowie ein Schädelhirntrauma. Die Jugendlichen stammten aus einer betreuten Wohngemeinschaft, die sich im selben Haus befand. Sie wurden vom Amtsgericht (AG) Tiergarten der gefährlichen Körperverletzung bzw. der Körperverletzung schuldig gesprochen.

Der Kläger wandte sich nach dem Vorfall an die Unfallkasse Berlin (Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung). Er gab an, er habe sich zum Zeitpunkt des Angriffs auf dem Weg zum Auto befunden, um dort das Blutzuckermessgerät für seinen Lebensgefährten zu holen. Die Unfallkasse Berlin lehnte es ab, das o. g. Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin blieb ohne Erfolg.

Angriff war kein Arbeitsunfall

Auf die daraufhin vom Kläger eingelegte Berufung hat das LSG die Entscheidung des SG bestätigt. Es hat ausgeführt, dass das o. g. Ereignis keinen Arbeitsunfall darstelle. Der Kläger gehöre als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson zwar zum Kreis derjenigen Personen, die kraft Gesetzes unfallversichert seien. Auch sei der Gang des Klägers aus der Wohnung zum Auto als „Betriebsweg“ der pflegerischen Tätigkeit zuzurechnen. Die Angabe des Klägers, er habe die Wohnung verlassen, um das Blutzuckermessgerät für seinen Lebensgefährten zu holen, könne insoweit als wahr unterstellt werden. Gleichwohl sei die gesetzliche Unfallversicherung im vorliegenden Fall nicht einstandspflichtig, da sich mit dem Angriff auf den Kläger kein Risiko verwirklicht habe, gegen dessen Eintritt der hier einschlägige Unfallversicherungstatbestand schützen solle.

Insoweit sei zu beachten, dass nicht jeder körperliche Angriff auf einem Betriebsweg unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung falle. Vielmehr sei der Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn der Angreifer aus persönlicher Feindschaft oder aufgrund von ähnlichen, aus privaten Beziehungen stammenden Beweggründen handle.

Persönliche Konflikte waren ursächlich für den Angriff

So liege der Fall hier. Aus den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten ergebe sich, dass der Kläger seine Wohnung am 28.5.2018 (auch) verlassen habe, um die Jugendlichen zur Rede zu stellen, nachdem ihm deren „merkwürdiges Verhalten am Fahrstuhl“ aufgefallen sei. Bereits zuvor sei es zu erheblichen Konflikten zwischen dem Kläger bzw. seinem Lebensgefährten und den in der Wohngemeinschaft betreuten Jugendlichen gekommen. Am 28.5.2018 sei Gegenstand des Streits eine Verschmutzung des Fahrstuhls mit weißer Farbe gewesen, für deren Verursachung die Jugendlichen den Kläger verantwortlich machen wollten. Der Kläger sei nicht Opfer der Körperverletzung geworden, weil er sich gerade auf dem Weg zum Auto (und damit zum Blutzuckermessgerät) befunden habe. Vielmehr sei wesentliche Ursache des Angriffs der bestehende persönliche Konflikt gewesen.

Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.11.2023

Gesetzliche Unfallversicherung: Sturz mit Inlineskates bei einem Firmenlauf

Eine Arbeitnehmerin steht nicht als Beschäftigte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie bei einem Firmenlauf auf Inlineskates stürzt und sich dabei verletzt. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg jetzt entschieden.

Kein Zusammenhang mit der Beschäftigung

Das LSG: Der Unfall habe sich nicht bei einer Aktivität ereignet, die mit der Beschäftigung in einem engen rechtlichen Zusammenhang stehe.

Zum einen liege kein Betriebssport vor, der eine gewisse Regelmäßigkeit und das Ziel gesundheitlichen Ausgleichs voraussetze. Der Firmenlauf finde nur einmal jährlich statt und habe, auch wenn es sich um keinen Hochleistungssport handle, den Charakter eines Wettstreits.

Keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung

Zum anderen habe es sich bei dem Firmenlauf auch nicht um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt. Der Firmenlauf habe als Großveranstaltung mit anschließender Party vielen anderen Unternehmen und Einzelbewerbern offengestanden und eher den Charakter eines Volksfestes gehabt.

Nur geringe Teilnehmerzahl

Außerdem habe nur ein ganz geringer, sportlich interessierter Teil der Mitarbeiter des Unternehmens am Firmenlauf teilgenommen. Es habe gerade kein spezielles Programm für den großen Teil der nichtlaufenden Beschäftigten gegeben. Daher habe das Laufevent auch nicht den betrieblichen Zusammenhalt gefördert. Zwar sei im Betrieb für die Teilnahme am Firmenlauf geworben worden und der Arbeitgeber habe die Startgebühr übernommen sowie Lauf-Shirts mit dem Firmenlogo zur Verfügung gestellt. Das alles führe aber zu keiner abweichenden Bewertung.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Quelle | LSG Berlin-Brandenburg

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